Neben dem untenstehenden Bericht berichtete die FAZ am 7.11.2024 über die Veranstaltung:
Artikel in der FAZ vom 7.11.2024
Am 4. November 2024 wird dem Lessing-Gymnasium die große Ehre zuteil, eine der letzten Überlebenden des Holocaust, die 92-jährige Eva Szepesi, anlässlich der jährlichen Gedenkveranstaltung am 9. November begrüßen zu dürfen. Der Vortrag mit Lesung aus ihrer Autobiographie „Ein Mädchen allein auf der Flucht“ ruft großes Interesse in der Schulgemeinde hervor. Neben der E‑, Q1- und Q3-Phase nehmen mehr als 50 Eltern und Ehemalige teil.
Sobald Eva Szepesi über ihre Flucht aus Ungarn und die Zeit im Konzentrationslager Auschwitz zu erzählen beginnt, wird es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. In meiner siebenjährigen Zeit an der Schule habe ich noch nie eine so gebannt lauschende Schülerschaft erlebt.
Eva Szepesis Geschichte nimmt ihren Anfang am Stadtrand von Budapest, wo sie in einem Haus mit großem Garten eine unbeschwerte Kindheit verlebt. Doch auch in Ungarn kommt Ende der 30er Jahre Antisemitismus auf, unter der ihre Familie zu leiden hat. Selbst ihre besten Freunde grenzen sie aus, beleidigen sie sogar als “Judensau”. Juden werden sukzessive aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Die damals Sechsjährige darf weder Kinos oder Parks besuchen noch ihr geliebtes Haustier behalten.
Der Überfall der Nazis 1944 markiert den Anfang der systematische Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung auch in Ungarn. Mit gefälschten Dokumenten überquert deshalb die damals elfjährige Eva mit ihrer Tante die Grenze zur Slowakei. Ihre Mutter und ihr kleiner Bruder sollen später nachkommen. Noch ahnt sie nicht, dass sie die beiden nie wieder sehen wird.
Doch auch in ihrem Versteck in der Slowakei sind sie nicht sicher. Im November 1944 werden sie gefangen genommen und in Viehwaggons, getrennt voneinander, nach Ausschwitz gebracht. Die kleine Eva bleibt im Januar 1945 nur von den Todesmärschen verschont, weil man sie zu diesem Zeitpunkt für tot hält. Sie haust eine Woche in der Baracke inmitten der Leichen ermordeter Mitgefangener, bevor sie von Soldaten der anrückenden Roten Armee befreit wird. Zum ersten Mal wird ihr wieder menschliche Wärme zuteil. Insgesamt überleben nur 400 Kinder unter 15 Jahren das Grauen der KZs.
Frau Szepesi beschreibt, wie sie bei ihrer Rückkehr nach Budapest im September 1945 am Bahnhof unter den Heimkehrern ihren Onkel entdeckt. Von ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder fehlt jedoch jede Spur. Es wird 50 lange qualvolle Jahre dauern, bis sie Gewissheit über das Schicksal ihrer engsten Familienangehörigen erhält.
Ihre Kindheit bleibt für Eva Szepesi auch lange nach ihrem Umzug nach Frankfurt in den 50er Jahren ein Tabu. Sie konkretisiert, dass ihr Schweigen zum einen ein “Selbstschutz“ war, sie aber auch ihre Kinder nicht habe belasten wollen.
Erst im Jahr 1995 bei einem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz entscheidet sie sich, der Shoah Foundation ein Interview zu geben. Diese Stiftung wurde vom Filmregisseur Steven Spielberg gegründet, um die Erinnerungen von Holocaustüberlebenden durch Videoaufnahmen zu bewahren.
In Auschwitz findet sie im „Buch der Namen“, in dem alle hier ermordeten Menschen aufgelistet sind, auch den Eintrag ihrer Mutter und ihres Bruders. Endlich erhält sie Gewissheit über deren Tod. Nach langer Zeit empfindet sie wieder ein Gefühl der Freiheit, als sie beginnt, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Zum ersten Mal gelingt es ihr, die Bilder ihrer Familie aus der Schublade zu nehmen und zu weinen.
Nach dieser Zäsur wird das Wachhalten der Erinnerung an die Shoa zu ihrer Lebensaufgabe. Frau Szepesi hält die traumatischen Erlebnisse ihrer Kindheit in ihrer Autobiographie fest und besucht von nun an regelmäßig Schulen, um als Zeitzeuge persönlich über das Erlebte zu sprechen. Bestürzt erfahren wir, dass eine Schule kurz nach dem 7. Oktober und dem Angriff der Hamas auf Israel ihren Auftritt aufgrund von Sicherheitsbedenken abgesagt hat.
Auf die Frage aus dem Publikum, wie auch zukünftige Generationen über diese Schreckenstat aufgeklärt werden können, richtet sie sich direkt an die Schülerschaft, an uns alle. Als Zeugen einer Zeitzeugin hätten wir die Aufgabe, den Holocaust niemals in Vergessenheit geraten zu lassen und gegen Unrecht vorzugehen. Auch fordert sie uns auf, kritisch gesellschaftliche Veränderungen zu beobachten und uns stets zu informieren. Nur so ließen sich Fake News und Hetze verhindern.
Eva Szepesi schließt mit den Worten, sie habe heute mit ihrem Vortrag viel erreicht, wenn ihr nur bei einem Menschen gelungen sei, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, der mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft begonnen habe. Dem nicht enden wollenden Beifall nach zu urteilen, hat sie ihr Ziel an unserer Schule auf jeden Fall erreicht.
Konstantin Feldbausch, Geschichte Leistungskurs, Q3