Ein Vor­trag am 29.03.2019 von Armin Flesch (1962*), Frank­fur­ter Autor und Journalist

Vom Umgang heu­ti­ger Eigen­tü­mer mit­tel­stän­di­ger Fami­li­en­un­ter­neh­men mit der NS- Ver­gan­gen­heit ihrer Fir­men und Familien

Ich lese in mei­nem Geschichts­buch und bereite mich auf den Vor­trag vor…Arisierung ist ein deut­sches Wort. „… zur Zeit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herr­schaft durch Ent­eig­nung oder zwangs­wei­sen Ver­kauf wird jüdi­scher Besitz in ari­schen Besitz über­führt …“ so lau­tet ein Definitionsversuch.

Armin Flesch berührt mit sei­nem Vor­trag ab der ers­ten Minute. Bedrü­ckend und beschä­mend sind seine Aus­füh­run­gen und so lebens­nah geschil­dert, dass es einem die Spra­che ver­schlägt. Seine jah­re­lan­gen Recher­chen in zahl­rei­chen Archi­ven brin­gen Fak­ten ans Licht, die manch einer lie­ber ver­staubt in der Akte schlum­mern ließe. Ab dem 1. April 1933 ‑unmit­tel­bar nach der Macht­über­nahme durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten — erfasst die Ari­sie­rung alle Lebens­be­rei­che jüdi­scher Mitbürger.

Sys­te­ma­tisch und „legi­ti­miert“ wer­den Juden von nun an im Ras­sen­wahn ver­folgt und aus der Volks­ge­mein­schaft aus­ge­schlos­sen. In Zei­ten der Krise sucht man Schul­dige und Ver­ant­wort­li­che, ange­sichts wirt­schaft­li­cher Not und poli­ti­scher Schwie­rig­kei­ten beginnt das Leben sich zu radi­ka­li­sie­ren. Der Anti­se­mi­tis­mus hat eine lange Tra­di­tion. Jüdi­sche Mit­bür­ger sind nun als Sün­den­bock für alles Unheil will­kom­men. Armin Fleschs Aus­füh­run­gen geben dem Gesche­he­nen eine unglaub­li­che bedrü­ckende Wirk­lich­keit. Jüdi­sche Mit­bür­ger, mit­ten unter uns, sind von jetzt auf gleich aus­ge­grenzt. Regel­recht „insze­niert“ wird diese Aus­gren­zung, „kunst­volle“ Schil­der wer­den gefer­tigt, Schu­len, Knei­pen, Läden, Ver­eine, Ortschaften…überall heißt es nun ein­fach: „Juden sind hier uner­wünscht“ Flesch beschreibt all­täg­li­che Sze­nen: wer zum Bei­spiel ver­spä­tet noch ins Schwimm­bad kommt, der kann nur Jude sein. Und so war­tet manch einer, um sich an die­sen Men­schen aus­zu­to­ben, die jüdi­schen Men­schen zu schi­ka­nie­ren oder ihnen gar ins Gesicht zu spucken…

Der Vor­trag hat grade erst begon­nen, aber um ehr­lich zu sein, bin ich schon erledigt,ob der Nie­der­tracht, der fie­sen Hin­ter­häl­tig­keit und der Schi­ka­nen, die sich in Fleschs klei­nen Aus­schnit­ten offen­ba­ren. Ich begreife, dass man das Aus­maß der Kata­stro­phe erst im Detail zum Leben erwe­cken kann und erkenne die Wich­tig­keit, genau dies zu tun, um die Ver­gan­gen­heit nicht im Geschichts­buch ver­stau­ben zu las­sen. Man erfährt wei­ter, schon 1933 müs­sen Juden aus den Frank­fur­ter Orches­tern aus­tre­ten. In der Oper sowie im Rund­funk Orches­ter sind sie nicht mehr will­kom­men. Jüdi­sche Mit­bür­ger dür­fen kei­nen Beet­ho­ven mehr spie­len, da er ein ari­scher Kom­po­nist ist. Mir feh­len die Worte…

1935 ver­kün­det Göring im Reichs­par­tei­tag die Nürn­ber­ger Gesetze. Unter fre­ne­ti­schem Jubel wird begrüßt, dass eine Hei­rat zwi­schen Juden und Ari­ern nun nicht mehr mög­lich ist. Exem­pla­risch für all die Men­schen, die aus Frank­furt depor­tiert wur­den, ste­hen die „Stol­per­steine“. Ein­ge­bet­tet vor den Wohn­häu­sern, erin­nern sie an jüdi­sche Frank­fur­ter Bür­ger. Wäh­rend ich noch über die Stol­per­steine nach­denke und dass man nie­mals ein­fach dar­über hin­weg tre­ten sollte, son­dern einen Moment inne­hal­ten möge um die­sem einen Men­schen zu geden­ken, redet Flesch wei­ter und bringt einen ent­schei­den­den Gedan­ken hinzu. Hin­ter jedem Stein stehe nicht nur eine Depor­ta­tion, son­dern auch Men­schen, die genau von die­ser Tra­gö­die pro­fi­tiert haben.

Ab 1933 wird die­sen Men­schen nun alles genom­men. Das Haus­tier, der Hund, die Katze, der Hams­ter… Flesch füllt seine Geschich­ten mit All­tags­mo­men­ten und Emo­tio­nen, die jeder ver­steht, um das Grau­samste zu erklä­ren. Einer muss sein gelieb­tes Tier abge­ben, ein ande­rer war­tet schon freu­dig dar­auf… Tele­fon, Radio, Schmuck, Bar­geld.… alles wird einem Men­schen genom­men. Flesch betont an die­ser Stelle, dass hier jemand alles ver­liert, was er hat: Seine Möbel, sei­nen Haus­rat, sein Zuhause, seine Firma, ein­fach alles und schließ­lich, am Ende, ver­liert er auch… sein Leben! Bis 1938 besteht keine ein­heit­li­che Vor­ge­hens­weise. Zu jedem Zeit­punkt gibt es Hand­lungs- und Ermes­sens­spiel­räume, die genutzt wer­den hät­ten kön­nen. Der Kon­junk­tiv an die­ser Stelle macht es alles noch tra­gi­scher, noch bru­ta­ler, noch beschä­men­der. Scho­nungs­los und nüch­tern beschreibt Flesch die Wahrheit.

Er nennt Dinge beim Namen, die viele Men­schen nicht so klar schil­dern möch­ten, wenn es um diese Zeit geht. Das impo­niert mir, macht Mut. Armin Flesch beschreibt die Ari­sie­rung als eine ein­zige große Schnäpp­chen­jagd. Som­mer­schluss­ver­kauf, Win­ter­schluss­ver­kauf… der Aus­ver­kauf eines Lebens. Jüdi­sche Mit­bür­ger mit einem ein­zi­gen Köf­fer­chen auf die Depor­ta­tion war­tend, müs­sen noch eine säu­ber­li­che, ordent­li­che Liste schrei­ben, was genau sie hin­ter­las­sen… Tisch­tuch, Ker­zen­leuch­ter, Bett­wä­sche, ach das meiste ist schon weg. Dann beginnt der Ver­kauf durch Wer­bung groß­spal­tig ange­prie­sen, weit pro­pa­giert: aus „jüdi­schem Besitz“. Öffent­lich wird alles ver­stei­gert, was von einem Men­schen­le­ben übrig­bleibt. Die Ver­stei­ge­rung wird ange­kün­digt, ein jeder weiß, um was es geht, kei­ner kann sagen, er habe es nicht gewusst. Ange­prie­sen wird die Ware, bil­lig. Es herrscht große Freude, kei­ner­lei Betrof­fen­heit, kein schlech­tes Gewis­sen, keine Beschä­mung ist in den Gesich­tern der Men­schen auf alten Fotos zu erken­nen. Natür­lich, denn für den Anti­se­mi­ten wird alles nur ans Deut­sche Volk zurück­ge­ge­ben, was „der Jude“ zuvor gestoh­len hat. 6 Mil­lio­nen Juden wer­den ver­nich­tet, ermor­det. Armin Flesch kor­ri­giert die­sen Begriff. Was ist ein Mord? Man bringt einen Men­schen um, dann ist er tot.

Was jedoch wird die­sen Men­schen angetan?

Sie wer­den aus­ge­schlach­tet aus ihren Haa­ren macht man Filz, ihre Bril­len und Uhren wer­den an Wehr­machts­sol­da­ten ver­schenkt, ja selbst das Zahn­gold wird ein­ge­schmol­zen und wei­ter ver­wer­tet. Deutsch­land als Meis­ter des Recy­clings. Die indus­tri­elle Aus­schlach­tung der Men­schen ist das Unvor­stell­bare, das emo­tio­nal nicht zu grei­fen ist. Wozu ist der Mensch fähig? Das Elend tritt zutage im Detail… ein Foto, ein Zopf, der aus einem Sack her­aus­ragt. Ein Zopf, der einem Mäd­chen abge­schnit­ten wurde kurz vor ihrem Tode. Die Ari­sie­rung beginnt am 1. April 1933 in der Wirt­schaft durch den Boy­kott der Ärzte, Anwälte und Unter­neh­men. 100.000 Unter­neh­men wer­den ari­siert, vom klei­nen Kiosk, Tabak­läd­chen, Kauf­haus, Ban­ken bis hin zur Indus­trie. 70% davon wer­den liqui­diert. Die Kauf­kraft fehlt den jüdi­schen Betrie­ben und was des einen Exis­tenz­ver­lust ist, spielt den Pro­fi­teu­ren in die Hände. Wer sich mit der Ari­sie­rung beschäf­tigt, erkennt schnell, dass dies ein lukra­ti­ves wirt­schaft­li­ches Geschäfts­mo­dell ist. “Ent­ju­dung“ ohne dass die Poli­zei, ohne dass ein Anwalt einem in die Quere kommt. Macht man’s ein­mal, macht man’s zwei­mal. Flesch schil­dert exem­pla­risch das Schick­sal einer Frank­fur­ter Firma, die 1914 gegrün­det und 1935 ari­siert wird. Es ist noch heute ein fami­li­en­ge­führ­tes Unter­neh­men. Auf der aktu­el­len Web­site der Firma mutet es komisch an, dass von 100-jäh­ri­ger Fami­li­en­tra­di­tion gespro­chen wird. Flesch forscht nach, stö­bert in Archi­ven, spricht mit den Erben und kommt zu der Erkennt­nis, dass die Erin­ne­rung und die Erwäh­nung der jüdi­schen Grün­der schlicht­weg ver­leug­net wird. Flesch ver­ur­teilt nicht, er fragt die Erben, sucht das Gespräch und stößt dabei auf selt­same Ant­wor­ten, die bewusst die Erin­ne­rung aus­klam­mern. Wie­viel kann ein Mensch ver­drän­gen? Man redet sich um Kopf und Kra­gen. Juden waren die, die doch sowieso ins Aus­land gin­gen und die Oma habe noch eine Schiffs­karte besorgt. Es bestand ein freund­schaft­li­ches Ver­hält­nis, man half bei der Flucht. Ja güt­lich habe man sich geei­nigt, aber nicht rechts­staat­lich, einer flieht, einer hilft! Umso per­fi­der ist es, wenn es anders war und die Dinge nur so da gestellt wer­den, um den Groß­va­ter und den Vater in ein bes­se­res Licht zu stel­len. Man habe das eigene Leben ris­kiert um Freun­den zu hel­fen. Durch seine aus­gie­bige Recher­che kann Flesch bewei­sen, dass dies schlicht­weg gelo­gen ist. Auf die Frage, warum die Vor­be­sit­zer nicht mal eine Erwäh­nung fin­den, lässt das Erin­ne­rungs­ver­mö­gen schlag­ar­tig nach. Kon­tra­fak­tisch, unglaub­lich wird hier geleug­net und gelo­gen, nicht ver­drängt. Kon­fron­ta­tion ist nicht erwünscht. Ja, die Web­seite wolle man kor­ri­gie­ren, bis zum heu­ti­gen Tag jedoch steht dort nur “100 Jahre Firmentradition“

Eine Erwäh­nung der jüdi­schen Grün­der ist auch heute im Jahr 2019 nicht zu fin­den. Die eigene Geschichte wird hier ver­leug­net, bewusst umge­schrie­ben, aus­ge­klam­mert, zurecht­ge­bo­gen bis aus unan­ge­neh­men Wahr­hei­ten, Lügen wer­den, mit denen man sich öffent­lich iden­ti­fi­zie­ren kann. Erlaubt ist, was gefällt! Ich bin dank­bar für die­sen Vor­trag auch wenn das Thema schreck­lich ist, und das Hin­schauen und Ana­ly­sie­ren, das Hin­spü­ren und Auf­zei­gen unge­müt­lich ist. Das Unbe­ha­gen steht in kei­ner Rela­tion zu den Gräu­el­ta­ten, die die­sen Men­schen wider­fah­ren sind. Warum reden viele Men­schen nicht offen über die Ver­gan­gen­heit, warum fällt doch vie­les unter den Man­tel des Schwei­gens. Ich schäme mich heute für Men­schen, die sagen „Das ist schon alles lang her“. „Kann man an Taten erin­nern wol­len ohne die Täter, die Mit­läu­fer, die Pro­fi­teure, all jene Räd­chen, die ein Sys­tem am Lau­fen hal­ten beim Namen zu nen­nen?“ fragt Armin Flesch sein Publi­kum Er redet wider das Ver­ges­sen. In deut­schen Archi­ven lau­er­ten noch Akten­berge, an denen noch so man­ches Mär­chen zer­schel­len könnte. Möge so etwas nie wie­der pas­sie­ren und möge das Gesche­hene immer in allen Her­zen all­ge­gen­wär­tig sein. Nicht im Geist, wo man sagen könnte „man habe nichts gewusst“, wo man argu­men­tie­ren kann, „es ist nun aber schon sehr lange her“. Nein! Mögen Fleschs Erin­ne­run­gen die Her­zen der Men­schen errei­chen und einen Jeden zu eige­nem Han­deln ermu­ti­gen, dort auf­zu­ste­hen, wo Unheil geschieht und hin­zu­se­hen, wo Unrecht und Leid sich breit­macht. Wir sind gezwun­gen damit umzu­ge­hen, es ist die Pflicht eines Jeden, sich damit zu beschäf­ti­gen, aus der Geschichte zu ler­nen und ver­ant­wor­tungs­voll in die Welt zu bli­cken. Nie­mals darf die Mensch­lich­keit mit Füßen getre­ten wer­den, nie­mals darf Obrig­keits­hö­rig­keit, Angst und Scham zu ver­ant­wor­tungs­lo­sem, men­schen­ver­ach­ten­den Han­deln füh­ren. Herr Flesch, wir bedan­ken uns für Ihren Vortrag!

L. Di Cristofano