Das Besu­cher­pro­gramm vom Pro­jekt “Jüdi­sches Leben in Frank­furt” lädt seit 1984 jähr­lich Zeit­zeu­gen und ‑zeu­gin­nen nach Frank­furt ein und lässt auch Schu­len an einem Aus­tausch über ihr ehe­ma­li­ges Leben in Frank­furt teil­ha­ben. Seit eini­gen Jah­ren wer­den auch Zeit­zeu­gen der “zwei­ten Gene­ra­tion” ein­ge­la­den; so kamen die Geschwis­ter Susan und Car­rie Ber­man sowie ihre Part­ner ans Les­sing-Gym­na­sium und berich­te­ten Schü­lern und Schü­le­rin­nen der Q 2 (dem Leis­tungs­kurs Eng­lisch von Frau Haber­stock und dem Grund­kurs Geschichte von Herrn Kern) über ihre Familiengeschichte.

Zwei Minu­ten vom Les­sing ent­fernt befin­det sich die eins­tige Schule (die Eli­sa­be­then­schule) ihrer 1927 in Frank­furt gebo­re­nen Mut­ter Han­ne­lore Oppen­hei­mer, spä­ter Laura Ber­man. Sie wuchs hier auf, doch als Adolf Hit­ler sein juden­feind­li­ches Regime eta­blierte, wurde es mehr als nur schwer, wei­ter in Frank­furt zu leben.

Plötz­lich waren Han­ne­lore, ihr Bru­der Karl-Heinz, ihre Mut­ter Ber­tha Weil und ihr Vater Karl Zacha­rias Oppen­hei­mer Staats­feinde, ohne je etwas getan zu haben. Han­ne­lore musste von der öffent­li­chen Eli­sa­be­then­schule auf die pri­vate, jüdi­sche Phil­an­thro­pin wech­seln. Doch auch damit endete die Gefahr nicht. Und so wan­derte Han­ne­lore mit ihrer bes­ten Freun­din Mari­anne im Jahre 1938 aus, erst über die Nie­der­lande und Eng­land bis sie schließ­lich in die USA kom­men. Han­ne­lo­res Vater, der zuvor ver­haf­tet wurde, kam 1939 mit ihrer Mut­ter nach. Karl-Heinz floh nach Eng­land, wurde dort aber spä­ter depor­tiert. Die Fami­lie ließ sich in New York nie­der, doch bei­den Eltern­tei­len war es nicht mehr mög­lich, ihre beruf­li­chen Kar­rie­ren fort­zu­set­zen. So wurde Han­ne­lore im Alter von gerade ein­mal 17 Jah­ren der Haupt­ver­die­ner der gesam­ten Familie.

Auch Susans und Car­ries Vater war aus Deutsch­land geflo­hen, in sei­nem Fall sind die Details aller­dings nicht so klar wie bei Han­ne­lore. Die Geschwis­ter erzäh­len aller­dings, dass er alleine geflo­hen war und erst einige Jahre spä­ter durch einen Cou­sin, der in Ber­lin ver­blie­ben war, über die Depor­ta­tion sei­ner Eltern her­aus­fand. Wei­tere Jahre spä­ter erfuhr er nach inten­si­ver Recher­che in Ame­rika und Deutsch­land dann über ihren Tod. Mit dem Schuld­ge­fühl über­lebt zu haben trug er sein rest­li­ches Leben mit sich.

Wäh­rend ihrer Lebens­zeit rede­ten beide Eltern­teile nicht gerne über ihre Ver­gan­gen­heit. Denn obwohl es schien, als seien sie der größ­ten Gefahr ent­kom­men und könn­ten nun in Frie­den leben, fühl­ten sie sich auch in Ame­rika unsi­cher. Der Vater, so berich­te­ten Susan und Car­rie, hielt daran fest, dass Juden über­all depor­tiert wer­den könn­ten. Sie leb­ten also wei­ter­hin in Angst und distan­zier­ten sich daher so weit wie mög­lich zu Deutsch­land. Die ein­zi­gen Bin­de­glie­der, die sie zu ihrer eins­ti­gen Hei­mat hiel­ten, waren wei­tere deut­sche Migran­ten in New York.

Ihre nega­tive Ansicht Deutsch­lands gaben sie auch an Susan und Car­rie wei­ter. Susan erzählt, dass sogar bei Zug­fahr­ten, die durch Deutsch­land führ­ten, Angst in ihr auf­kam und sie bei Europa-Rei­sen den Besuch Deutsch­lands so weit wie mög­lich zu ver­mei­den versuchte.

Ihr Vater kam, nach­dem er über den Tod sei­ner Eltern erfuhr, nicht mehr nach Deutsch­land zurück und starb recht früh. Und auch ihre Mut­ter hätte Deutsch­land wahr­schein­lich nie wie­der betre­ten, wenn es nicht für das Pro­jekt Jüdi­sches Leben in Frank­furt gewe­sen wäre. Mit ihrer Freun­din Mari­anne zusam­men besuchte sie 1994 ihre Hei­mat­stadt wie­der. Lei­der ver­starb auch sie fünf Jahre spä­ter. Sie hin­ter­ließ jedoch jeg­li­ches Besitz­tum, wel­ches sie aus Deutsch­land mit­ge­bracht hatte, ihre Schul­bü­cher, Zeug­nisse und alte Fotos. All dies stell­ten Susan und Car­rie uns vor.

Auf diese Vor­stel­lung folg­ten unsere Fra­gen und die NS-Zeit kam ver­ständ­li­cher­weise als ein bedeu­ten­des Thema auf. Susan erklärte, dass wir uns zwar in einer pro­gres­si­ven Gesell­schaft befin­den, es aber in bestimm­ten Situa­tio­nen wie dem Ukraine-Krieg oder auch bei der Wahl Trumps bei­nahe wie­der zu aus­se­hen würde, als kehre man zu den Grau­sam­kei­ten der NS-Zeit zurück. Und obwohl wir von einer pro­gres­si­ven Gesell­schaft spre­chen, seien Phä­no­mene wie Ras­sis­mus oder Anti­se­mi­tis­mus noch lange nicht aus­ge­stor­ben. Zu die­sen schei­nen sie sogar genauso prä­sent, wie in den­je­ni­gen Zei­ten aus denen wir ler­nen woll­ten. Und diese Phä­no­mene trä­ten über­all auf. Von daher rei­che es nicht aus, nur zu sagen, dass man aus der Ver­gan­gen­heit gelernt hat. Man müsse sich inten­siv mit der Geschichte aus­ein­an­der­set­zen, Feh­ler erken­nen und sie kon­fron­tie­ren, um jeden Preis eine Wie­der­ho­lung der Ver­gan­gen­heit zu ver­hin­dern. Erst dann könne man tat­säch­lich davon spre­chen, dass man aus Feh­lern gelernt hat und sie nie­mals wie­der­ho­len möchte.  In die­sem Zusam­men­hang wie­sen die Geschwis­ter sehr aner­ken­nend und lobend auf den kri­ti­schen Umgang Deutsch­lands mit der eige­nen Geschichte hin.

Für den Mut nach Deutsch­land zu rei­sen und ihre Bereit­schaft eine schmerz­hafte Geschichte nach­zu­er­zäh­len, dan­ken wir als Les­sing-Gym­na­sium viel­mals und hof­fen, dass wir eines der vie­len Bei­spiele wer­den kön­nen, die sich für den Kampf gegen Dis­kri­mi­nie­rung aller Art, sei es wegen Aus­se­hen, Her­kunft, Sexua­li­tät oder Glau­ben, einsetzen.

Vie­len Dank an Susan und Car­rie Berman!

Und vie­len Dank an das Pro­jekt Jüdi­sches Leben in Frankfurt!

Naomi Ahmed (Q2)