Bei der jähr­li­chen Ver­an­stal­tung anläss­lich des Geden­kens an den 9. Novem­ber stand ein Ereig­nis im Mit­tel­punkt, das im Unter­richt und in den Medien eher einen klei­nen Platz ein­nimmt, der soge­nannte Hit­ler­putsch am 9. Novem­ber 1923.

Der His­to­ri­ker und Mode­ra­tor Wolf­gang Niess hielt dazu einen Vor­trag, der die Hin­ter­gründe des Umsturz­ver­su­ches näher beleuchtete.

Niess erläu­terte, dass, anders als oft ange­nom­men, die auf­kom­men­den revo­lu­tio­nä­ren Strö­mun­gen im Kri­sen­jahr 1923 anfangs nicht von Hit­ler selbst aus­gin­gen, son­dern von der poli­ti­schen Elite Bay­erns. Nach­dem Reichs­kanz­ler Gus­tav Stre­se­mann den pas­si­ven Wider­stand gegen die fran­zö­sisch-bel­gi­sche Beset­zung des Rhein­lan­des auf­grund der Hyper­in­fla­tion und der kata­stro­pha­len wirt­schaft­li­chen Lage im Reich auf­ge­ge­ben hatte, bil­dete sich in der baye­ri­schen Regie­rung eine Wider­stands­zelle. Diese ernannte den frü­he­ren baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Gus­tav von Kahr als Gene­ral­staats­kom­mis­sar mit dik­ta­to­ri­schen Voll­mach­ten. Er besaß exzel­lente Ver­bin­dun­gen zu den para­mi­li­tä­ri­schen Bür­ger­weh­ren, die fast 300.000 Mit­glie­der in Bay­ern hat­ten. Gemein­sam mit Hans von Sei­ßer, dem Befehls­ha­ber der baye­ri­schen Lan­des­po­li­zei, und Gene­ral Otto von Los­sow, der in einem ver­fas­sungs­wid­ri­gen Akt die Kon­trolle über die in Bay­ern sta­tio­nier­ten Reichs­wehr­trup­pen an sich geris­sen hatte, ver­suchte er, mit Unter­stüt­zung der Bür­ger­weh­ren an die Nord­grenze Bay­erns vor­zu­rü­cken, um von Ber­lin Zuge­ständ­nisse zu erhal­ten.  Adolf Hit­ler war zu die­ser Zeit bereits ein akti­ves Mit­glied in der Münch­ner Poli­tik, nach­dem er die Kon­trolle über die Deut­sche Arbei­ter­par­tei erlangt hatte. Ihm waren die Pläne von Kahr, Los­sow und Sei­ßer bekannt. Weil sie sich aber immer noch gegen einen Umsturz­ver­such sträub­ten und zunächst die Unter­stüt­zung des Reichs­prä­si­den­ten auf ihrer Seite haben woll­ten, ver­mu­tete Hit­ler, dass sie schwach gewor­den seien und sich nicht trauen wür­den, ihre Pläne umzusetzen.

Als Adolf Hit­ler am 8. Novem­ber 1923 mit dem Aus­ruf „Die natio­nale Revo­lu­tion ist aus­ge­bro­chen!“ eine Ver­samm­lung im Mün­che­ner Bür­ger­bräu­kel­ler stürmte, an der die gesamte poli­ti­sche Elite Mün­chens teil­nahm, und diese mit bewaff­ne­ten Anhän­gern umstellte, wollte Hit­ler das Drei­ge­stirn Kahr, Los­sow und Sei­ßer vor voll­endete Tat­sa­chen stel­len und sie zum „Marsch auf Ber­lin’’ zwingen.

Nach­dem dies auf große Begeis­te­rung aller Anwe­sen­den der Ver­samm­lung geführt hat, und auch Gene­ral Luden­dorff dies befür­wor­tete, stimm­ten Los­sow, Sei­ßer und zuletzt auch Kahr zu. Jedoch konn­ten sie sich nicht mit der von Hit­ler ange­fer­tig­ten “Pro­kla­ma­tion an das deut­sche Volk”, wel­che in Form von Pla­ka­ten aus­ge­hängt wurde, iden­ti­fi­zie­ren, und distan­zier­ten sich schließ­lich doch noch von Hit­ler. Die Lage in Ber­lin war zu die­sem Zeit­punkt sehr ange­spannt, und man stellte sich auf einen Putsch­ver­such ein, da die Distan­zie­rung von Los­sow, Sei­ßer und Kahr erst am frü­hen Mor­gen in Erfah­rung gebracht wurde. Hit­ler begann in der Nacht die Ner­ven zu verlieren.

Was dann am nächs­ten Mor­gen, dem 9. Novem­ber folgte, war, wie Niess es aus­drückte, eine “Beschäf­ti­gungs­the­ra­pie für Rechts­extreme” statt eines stra­te­gisch orga­ni­sier­ten Putsch­ver­su­ches. Man war im Bür­ger­bräu­kel­ler rat­los, wie es wei­ter­ge­hen sollte. Auf Luden­dorffs Idee hin star­tete am spä­ten Vor­mit­tag eine Art Pro­pa­gan­da­zug in die Innen­stadt. Ein gro­ßer Teil der Münch­ner stand dem Putsch posi­tiv gegen­über, vom Rat­haus wehte die schwarz-weiß-rote und die Haken­kreuz­fahne. Der Zug mit sei­nen etwa 2000 Mann ging über den Mari­en­platz, wo Julius Strei­cher auf­peit­schende Reden vor einer rie­si­gen Men­schen­menge hielt, wei­ter in Rich­tung Regie­rungs­vier­tel. Auf der Höhe der Feld­her­ren­halle ver­sperrte die Lan­des­po­li­zei den Weg.  Hier kam es zu einer kur­zen, nur unge­fähr 30 Sekun­den andau­ern­den Schie­ße­rei, bei der es 18 Todes­op­fer gab, vier Poli­zis­ten, 13 Put­schis­ten und ein Neu­gie­ri­ger. Hit­ler gelang es zu flüch­ten. Am Abend des 11. Novem­bers wurde er schließ­lich in Uffing, süd­lich von Mün­chen, im Haus eines Unter­stüt­zers festgenommen.

Der anschlie­ßende Pro­zess gegen die Ver­schwö­rer begann am 26. Februar 1924 und hätte eigent­lich in Leip­zig vor dem Staats­ge­richts­hof statt­fin­den müs­sen. Bay­ern war aber nicht bereit, des­sen Zustän­dig­keit zu akzeptieren.

Luden­dorff wurde mit der Begrün­dung, dass er eine wich­tige Per­sön­lich­keit sei und bereits viel für Deutsch­land getan habe, frei­ge­spro­chen. Hit­ler, der sich bereits auf Bewäh­rung befand, und zudem als Aus­län­der eigent­lich nach Öster­reich hätte aus­ge­wie­sen wer­den müs­sen, wurde mit drei wei­te­ren Ange­klag­ten zu fünf Jah­ren Fes­tungs­haft ver­ur­teilt. Das war die Min­dest­strafe, die das Gesetz vor­sah. Das Gericht stellte ihnen jedoch die Aus­set­zung der Strafe zur Bewäh­rung nach sechs Mona­ten Fes­tungs­haft in Aus­sicht. Luden­dorff wurde freigesprochen,

Allen Ange­klag­ten beschei­nigte das Gericht “bei ihrem Tun von rein vater­län­di­schem Geiste und dem edels­ten selbst­lo­sen Wil­len gelei­tet” gewe­sen zu sein, was die mil­den Stra­fen erklärt.

Wäh­rend sei­ner Haft in einem sepa­ra­ten Trakt in Lands­berg am Lech, die am 1. April 1924 begann, genoss Hit­ler zahl­rei­che Pri­vi­le­gien. Als Fes­tungs­häft­ling musste er keine Sträf­lings­klei­dung tra­gen und war von jeg­li­cher Arbeit befreit. In den ers­ten Mona­ten sei­ner Haft emp­fing Hit­ler eine große Anzahl an Besu­cher, ins­ge­samt kamen über rund 350 Per­so­nen zu 524 Ter­mi­nen wäh­rend sei­ner 13 Monate dau­er­ten Haft­zeit, dar­un­ter auch Ver­tre­ter aus Poli­tik und Wirt­schaft. Seine schön ein­ge­rich­tete Zelle quoll über vor Geschen­ken, so dass wei­tere Zel­len frei­ge­räumt wur­den, um diese unter­zu­brin­gen.  Niess nannte Hit­lers Haft­zeit eine „Ver­gnü­gungs­ver­an­stal­tung’’. Hit­ler hielt buch­stäb­lich Hof im Lands­ber­ger Gefäng­nis und nutzte die Zeit, um die erste Ver­sion sei­nes Mani­fests „Mein Kampf’’ zu schreiben.

Im zwei­ten Teil der Ver­an­stal­tung ging Wolf­gang Niess auf ver­schie­dene Fra­gen der Schü­ler und Schü­le­rin­nen ein. Neben his­to­ri­schen Details des Hit­ler-Put­sches inter­es­sier­ten sich die Schü­le­rin­nen und Schü­ler vor allem für die Leh­ren, die aus dem Umgang mit dem Hit­ler-Putsch und den Schwä­chen der Wei­ma­rer Repu­blik gezo­gen wer­den können.

Eine Frage hatte die Wahr­neh­mung bzw. Reak­tion des Aus­lan­des zum Inhalt. Dazu sagte Wolf­gang Niess, dass Eng­land, Frank­reich oder die USA nie­mals mit einer unde­mo­kra­ti­schen Regie­rung zusam­men­ar­bei­tet hät­ten, dass es aber aus Ita­lien von Mus­so­lini Gra­tu­la­tio­nen gab.  Gene­rell sei der Putsch von Ita­lien (Marsch nach Rom) und auch von Ata­türk und sei­ner Grün­dung der moder­nen Tür­kei im Okto­ber 1923 inspi­riert worden.

Eine wei­tere Frage bezog sich auf das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts von 2017, wel­ches das Ver­bot der NPD ablehnte. Ihr Urteil begrün­de­ten die Rich­ter damit, dass für ein Ver­bot die “Über­schrei­tung der Schwelle zur Bekämp­fung der frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung” nötig sei. Dem­nach dürfe eine Par­tei nicht ver­bo­ten wer­den, nur weil ihre Mit­glie­der ver­fas­sungs­feind­li­che Ansich­ten teilen.

Wolf­gang Niess wurde gefragt, ob in unse­rer heu­ti­gen poli­ti­schen Ord­nung erst ein Putsch­ver­such nötig sei, um das Ver­bot einer Par­tei durch­zu­set­zen. Seine Ein­schät­zung zu die­ser The­ma­tik fiel dif­fe­ren­ziert, aber deut­lich aus: Durch den Hit­ler­putsch und den dann fol­gen­den lega­len Auf­stieg der NSDAP sei deut­lich gewor­den, dass die deut­sche Demo­kra­tie legal unter­gra­ben wer­den kann. Wenn es erwie­sen sei, dass bestimmte Par­teien rechts­extre­mes Gedan­ken­gut ver­tre­ten, so habe unver­züg­lich ein Par­tei­ver­bot zu erfol­gen. Niess kri­ti­sierte das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und warnte vor den Fol­gen des Rechtsextremismus.

Außer­dem wollte ein Schü­ler wis­sen, wie sich die­ses Ereig­nis auf Hit­lers poli­ti­sche Kar­riere aus­wirkte. Hit­ler, so Niess, habe den Putsch und ins­be­son­dere auch die Gerichts­ver­hand­lung genutzt, um über Bay­ern hin­aus bekannt zu wer­den. Er wurde nach dem Pro­zess als unan­ge­foch­te­ner “Füh­rer” des Put­sches prä­sen­tiert und wurde dann auch als sol­cher wahr­ge­nom­men.  Er hatte sich als Per­son erfolg­reich in den Mit­tel­punkt gestellt. Nach sei­ner mil­den Haft­strafe ver­suchte er, auf lega­lem Weg die Macht zu ergrei­fen. Seine durch den Putsch erwor­bene Bekannt­heit hat ihm dabei genutzt.

Die Schul­lei­tung bedankte sich bei Wolf­gang Niess herz­lichst für sei­nen zwei­ten Besuch am Les­sing-Gym­na­sium. Bei sei­nem letz­ten Vor­trag 2021 hatte er über den 9. Novem­ber 1918 gespro­chen und die­sen als posi­ti­ven Tag der deut­schen Geschichte und wah­ren Beginn unse­rer Demo­kra­tie gewür­digt. Nun war Hit­lers Ver­such, die­sen ihm so ver­hass­ten 9. Novem­ber aus der Welt zu schaf­fen, der Grund für einen wei­te­ren Vortrag.

Kon­stan­tin Feld­bausch, Niklas Grei­temann, Edvard Rau, Michael Kern (Leis­tungs­kurs Geschichte)