KUNSTTALENTE — Ein Stipendium der Stiftung Giersch*
Die Stiftung Giersch ist Partner der Schirn Kunsthalle, des Städel Museums und der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt. Neben der Förderung dieser drei Häuser ermöglicht die Stiftung Giersch jährlich einigen Kunst begeisterten Jugendlichen aus Hessen, sich ein ganzes Jahr lang intensiv mit Kunst zu beschäftigen.
Ich durfte als Stipendiatin an diesem Förderprogramm für ästhetisch begabte Jugendliche teilnehmen. Das Ziel dieses Programms ist es, die Bandbreite der Kunst vom Mittelalter bis zur Moderne aufzuzeigen, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein historisch fundiertes Kunstverständnis zu entwickeln und ihnen die Möglichkeit bildnerisch-künstlerischer Arbeit mit individueller Ausprägung zu eröffnen. Das wussten wir über das Programm, als wir im Herbst 2019 zum ersten Mal offiziell das Atelier des Städel-Museums betraten. Wir, das waren 13 Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren.
Im Frühjahr des Jahres 2019 hatte das Auswahlverfahren begonnen. Wir schrieben eine Bewerbung und bereiteten uns auf den Aufnahmetest vor. Bislang hatte ich nur zu Hause oder in der Schule gezeichnet oder Kunst gestaltet, meine Aufregung war dementsprechend groß. Der Aufnahmetest bestand aus vier Schritten: zuerst gaben wir eine Mappe mit einer Auswahl unserer Werke ab, dazu ein Gutachten mit der Einschätzung unserer Kunstlehrer*in und danach wurden wir zu einem theoretischen und praktischen Test in die Schirn eingeladen. Im theoretischen Teil bekamen wir eine einfache Kunstpostkarte zu der wir einen Text schreiben sollten. Dabei gab es keine Vorgaben, unser Text sollte sich lediglich auf die Kunstpostkarte und unsere Gedanken zu ihr beziehen. Im praktischen Teil wurden uns ausschließlich einfache Materialien wie Müllsäcke, Klebestreifen und Scheren zur Verfügung gestellt, keine Stifte oder Papier. Wir bekamen eine Stunde Zeit, um zu dem vorgegebenen Thema „etwas Hässliches zu kreieren“, also aus den angebotenen Gegenständen zu basteln und dem entstandenen Werk einen Titel zu geben.
Einige Wochen verstrichen, während eine Jury verschiedener Persönlichkeiten aus den beteiligten Museen unsere künstlerischen Produkte auswertete. An dem Tag, als ich den Brief mit der Zusage erhielt, machte ich Luftsprünge und zählte mich zu den ausgewählten glücklichen 13 Teilnehmer*Innen.
Jedes Wochenende, außer in den Ferien, würde man sich im Städel Museum treffen. Nach den Herbstferien ging es los. Im Foyer des Städel Museums führten uns unsere beiden Kursleiterinnen Claudia Gaida und Inge Brocar zum Atelier, welches unser Wochenend-Zuhause für das kommende Jahr werden sollte. Unsere „Dauer-Eintritts-Karte“ für das Städel, das Liebieghaus und die Schirn war ein Ansteck-Button mit Kunst-Talente-Logo und unserem Namen darauf. Auf dieses unscheinbare Stück galt es also aufzupassen. Man kann sich vorstellen, wie oft ich den Button zu Hause gesucht habe.
Nach einem kurzen Kennenlernen befanden wir uns schon mitten im Programm: Wir sollten uns eine Stunde lang im Museum im Bereich der Dauer-Ausstellungen bewegen, uns ein paar Werke aussuchen und jeweils ein Detail dieser Werke abzeichnen, bzw. es uns genau einprägen. Zurück im Atelier zeichneten wir diese Details in eine neue Umgebung hinein. Am Samstagvormittag, zweiter Tag, gab es eine neue Aufgabe. Die Zeichnung, die wir am Vortag erstellt hatten, wurde in eine Plastik verwandelt, Material, Größe oder Thema konnten wir uns selbst aussuchen. Die Tage vergingen schnell und von dem Tag an reihte sich ein Wochenende an das andere, das gefüllt war mit einem spannenden Kunst-Programm in einem wunderbaren Haus, dem Städel Museum.
Wir besuchten im Städel, der Schirn und im Liebieghaus alle regulären und auch die Sonderausstellungen, wo wir uns einzelne Werke einer Ausstellung aussuchten, uns davorsetzten und es von oben bis unten analysierten. Es wurde über die Technik, Farbkontraste, Komposition gesprochen und die Emotionen die bei der Betrachtung entstehen. Unsere jeweilige Leiterin hat uns anschließend über den/die Künstler/in und die allgemeinen Hintergründe zum jeweiligen Werk informiert. Zudem hatten wir die Freiheit, mit den unterschiedlichsten Materialien zu arbeiten. Es waren uns (fast) keine Grenzen in Art der Bearbeitung, Menge oder der Größe unserer Werke gesetzt. Wir besprachen Fragen zu den Werken, die in den Museen ausgestellt waren und Fragen zu unseren eigenen künstlerischen Produkten – deren Bearbeitungsweise, Intention, Material und Wirkung auf das Publikum. Wir wurden gefordert und handwerklich gefördert. Wir erhielten Einblick in die Kunst in all ihren Facetten und Möglichkeiten und wir lernten nicht nur fremde Künstler in ihrem historischen Kontext kennen, sondern auch unsere Kurs Partner*Innen, und vor allem lernten wir viel über uns selbst.
Es macht unglaublichen Spaß und ist sehr inspirierend Zeit mit Menschen zu verbringen, die die gleiche Leidenschaft teilen, wie man selbst. Während der Woche nimmt einen der Schulalltag mit Lernen, Freund*Innen, Musik und Familie sowieso völlig in Beschlag, an den Wochenenden aber konnte ich abtauchen ich in diese andere Welt.
Wir hatten Dank des großen Engagements der Kunst-Talente-Organisatoren die Möglichkeit, auch während der Lock-down-Phase in Kontakt miteinander zu stehen, quasi im Homeoffice. Wir bekamen Materialien zugesandt, und wenn die Technik es erlaubte, hielten wir sooft es ging Videokonferenzen ab. Rechtzeitig konnten wir auch physisch wieder in die Ateliers zurückkehren, sodass wir Ende Oktober 2020 eine Auswahl unserer Werke im Rahmen einer 2‑tägigen Abschluss-Ausstellung in den Räumen des Städel-Museums live und vor Publikum ausstellen konnten. Wir erhielten auch eine offizielle Verabschiedung und ein Zertifikat des Förderprogramms für ästhetisch begabte Jugendliche.
Das Programm hat für mich sein Ziel in vollem Maße erreicht. Meine Freizeit war zwar ein Jahr lang auf ein Minimum reduziert, was sich aber absolut gelohnt hat. Ich durfte inspirierende, neue Kontakte knüpfen und Erfahrungen sammeln, die mich künstlerisch und persönlich gestärkt haben.
Natürlich legt unser altsprachlich-humanistisches Lessing-Gymnasium seinen Schwerpunkt auf Musik. Dass an dieser Schule Kunstlehrerinnen unterrichten, die uns die einmalige Chance zur Teilnahme an so einem Programm eröffnen, zeigt, dass jeder hier am Lessing seine Entfaltungsmöglichkeit und auch seinen Spaß finden kann. Ich möchte an dieser Stelle daher ausdrücklich meinen Dank an Frau Stilper richten. Ohne ihr Engagement mit der Kunst-AG und die fachliche Begleitung bis zur Aufnahmeprüfung hätte ich diese wunderbare Erfahrung nicht machen können.
Ich danke ebenso auch der Organisatorin des Förderprogramms Anne Sulzbach und natürlich den Betreuerinnen des Städel Museums und des Liebighauses Claudia Gaida und Inge Brocar, die jedes Wochenende mit uns gearbeitet und unseren Blick auf die Dinge der Kunst verändert haben. Diese Zeit war sehr wertvoll und hat meinen Blick auf unsere Bilderwelt nachhaltig geschult und geschärft.
Livia Zierhut, Februar 2021
* Die Stiftung Giersch ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie wurde am 14. November 1994 durch den Frankfurter Unternehmer Carlo Giersch und seine Frau Karin Giersch gegründet.